Susanne Ackermann

Eine konkrete Illusion

Dr. Margrit Brehm


`Als rational können nur die eingesetzten Mittel und Verfahren bezeichnet werden, nicht aber die Ergebnisse, deren Wesen durch den Aufbau einer komplexen Wechselwirkung zwischen visueller und intellektueller Wahrnehmung bestimmt wird.´ (Max Bill)


Als die Konkrete Kunst zu Beginn des 20.Jahrhunderts antrat, das Bild aus seiner dienenden Funktion und damit von jeglichem Verweis auf die Wirklichkeit – oder noch radikaler : auf kunstfremde Inhalte – zu befreien, erfuhren die bildkonstruierenden Faktoren, also Linie, Farbe, Oberfläche und Format eine bis dahin undenkbare Aufmerksamkeit. Die technischen Hilfsmittel, die zuvor `nur benutzt ´worden waren, um eine Illusion, eine Bilderzählung, einen Bildraum zu schaffen, waren die neuen Protagonisten. Vom Bild, verstanden als rationale, intellektuelle Setzung, wurde Eindeutigkeit, Exaktheit, Perfektion verlangt. Die Linie war eine Gerade ( bei der Frage ob allein rechte Winkel oder auch Diagonalen bildkonform seien, gingen die Meinungen schon auseinander ) und das Farbspektrum war auf die Grundfarben ( Rot, Gelb und Blau ) sowie Weiß und Schwarz beschränkt. Zwischentöne, Ungenauigkeiten , gar Vielschichtigkeiten passten nicht in die neue klare Ordnung, wurden als Rückschritte ins Expressive, Narrative, Illusionistische oder gar Individualistische verurteilt. So entscheidend ( und so schwer ) war der Schritt vom Bild als `Fenster zur Welt ´zum `Rechteck an der Wand ´gewesen, dass die radikale Idee von jedem Verdacht des Kompromisses freigehalten werden musste. Sah es zunächst so aus, als sei mit revolutionärem Impetus eine Grenze überschritten worden, um dann gegen die Wand des eigenen Dogmatismus zu laufe, so waren es gerade die Heroen der Frühzeit, die als erste erkannten, dass das hemmende Konzept aufgebrochen werden musste, um das Bild als unabhängige, radikale Setzung zu retten. Piet Mondriaan begann im New Yorker Asyl mit farbigem Klebeband zu experimentieren ( ein Sakrileg gegen das Flächendiktat! ), stellte das Quadrat auf seine Spitze und tauschte das statische schwarze Liniengerüst mit den Farbflächen in Primärfarben, gegen die Dynamik des Boogie-Woogie. Neue Erfahrungen des Konkreten waren möglich geworden.Den Gemälden von Susanne Ackermann liegt ein Strukturbegriff zu Grunde, der in seiner konkreten Lesbarkeit ebenso wie in seiner Verweislosigkeit die Errungenschaften der Moderne selbstverständlich nutzt. Im Unterschied aber zur rationalen Setzung der Frühzeit der Konkreten Kunst, hat diese lesbare Struktur ihren Ausgangspunkt in der Arbeitsmethode, in der Art und Weise wie mit Bildträger und Farbe umgegangen wird. Einer möglichen theoretischen Fundierung, einem Bildkonzept wird eine Systematik des Arbeitens entgegengestellt, aus dessen prozessualem Vollzug das Bild entsteht. Es gibt keinen Plan und keine Vorzeichnungen, sondern nur eine `Strukturidee´, die durch spontane Entscheidungen für bestimmte Farben `realisiert´ wird. Zwei Dinge sind grundlegend und gelten für alle Werke, die Susanne Ackermann in den letzten Jahren geschaffen hat : Zum einen verwendet die Künstlerin extrem verdünnte Acrylfarben mit nur geringem Binderanteil, wodurch eine hohe Transparenz gewährleistet wird. Zum anderen steht am Anfang jedes Werks nicht nur die Entscheidung für ein Bildformat, sondern auch für eine einzige Pinselgröße bzw. -breite. Der Pinsel – stets gerade gehalten und mit seiner Breitseite über die Leinwand geführt – bestimmt die Dimension der Linie und damit zugleich die aller Linien, die sich auf einem Gemälde der Künstlerin finden. Konkreter ( im engsten Sinne des Wortes ) kann der Bezug zwischen Arbeitsgerät und Erscheinungsbild der Arbeit kaum definiert werden.


Entwickelt und perfektioniert hat Susanne Ackermann ihre Malweise an den rasterartigen, häufig wie Gewebe erscheinenden Malereien, die den Schwerpunkt dieses Kataloges bilden. Die Vorgehensweise ist dabei immer die gleiche : Zunächst wird der Bildträger von Rand zu Rand mit horizontalen Linien – manchmal feinen Strichen, manchmal breiten Bahnen – überzogen. Wenn diese nach kurzer Zeit getrocknet sind, wird das Bild gedreht oder  ( bei kleineren Arbeiten, die am Boden entstehen ) der Standort gewechselt, um wiederum, aber dieses Mal um 90° versetzt, Farbbahnen bzw. Bahnausschnitte über die Leinwand zu legen. Eine Rasterstruktur ist somit bereits nach den ersten zwei Arbeitsschritten vorhanden. Um dieser aber Tiefe und Varianz zu geben, die ein Kennzeichen der Gemälde von Susanne Ackermann ist, muss das Verfahren noch viele Male wiederholt werden. Schicht um Schicht wird die Farbe systematisch und stets flächendeckend aufgetragen.Das Bild `wächst´, aber trotz der manchmal bis zu dreißig Schichten wird es nicht `dicker´ sondern `tiefer´. Diese im Grunde paradoxe Wahrnehmung resultiert faktisch aus der Tatsache, dass die transparenten Farbschichten so dünn sind, dass nach dem Trocknungsvorgang die Pigmente fast frei auf der Oberfläche liegen, diese aber nicht schließen und dass durch die Verwendung heller Farben- meist dominieren Gelb- Rot- und Orangetöne – die tieferliegenden Farbebenen stets sichtbar bleiben. Wie bei einem Aquarell bedeutet dies aber auch, dass keine Korrekturen vorgenommen werden können, sondern jede einmal getroffene Entscheidung Teil des endgültigen Erscheinungsbildes ist.


Folgt die Künstlerin also sowohl in der Rationalität ihres Vorgehens wie auch in der stets absoluten Flächigkeit der Oberfläche, den tradierten Ideen der Konkreten Kunst, so erhebt sie gleichzeitig ( und d.h. in diesem Fall kontrapunktisch ) die Malerei als solche zum gleichberechtigten Thema : Die Freihand gezogenen Linien widersetzen sich jeder Forderung nach Exaktheit und die sichtbar bleibenden Stellen, an denen der Pinsel an bzw. abgesetzt wurde, werden zum individuellen Zeichen einer Handarbeit. Das `Gemaltsein´ des Bildes tritt in den Vordergrund und lenkt die Aufmerksamkeit auf den Prozess. Die Linie als Bewegung des Punkts durch die Zeit wird erfahrbar. Es ist ein bewusstes Arbeiten gegen die zeitlose Idealität und zugleich ein Offenlegen der Methoden, wie durch Malerei ohne Anwendung der Zentralperspektive Raum entsteht. Das Bild ist zugleich Fläche und Raum, Zeichen und pulsierende Organismus. Der Rezeptionsprozess wird zum Balanceakt zwischen dem Festhalten an der rektangulären Linienstruktur ( Oberfläche ) und dem Sich-Einlassen auf den Raum im Bild.


In zwei neuen Werkserien, die in den vergangenen beiden Jahren neben die geometrisch gegliederten Bildfelder getreten sind, arbeitet Susanne Ackermann nicht nach dem Allover-Prinzip, sondern lotet das Geviert der Leinwand mit freien Formen aus. So anders die großzügigen `Schleifen´, deren expressive Kraft fast das Format zu sprengen scheint, im Vergleich mit den strengen `Geweben´ wirken, so resultiert die Tiefenwirkung in beiden Zyklen aus der Schichtung der transparenten, rapportartig eingesetzten Bildmotive. Ganz anders dagegen wird in den jüngsten Werken Raum erobert. Hier gibt es keine Überlagerungen, jede Linie steht für sich und bildet eine flache Form, einen Umriss ohne Volumen. Erst die Gesamtheit der Linien, ihre Anordnung erzeugt eine Räumlichkeit, die je nach Betrachtung wie eine sich aus dem Bild nach außen wölbende oder sogartige in die Tiefe des Bildes ziehende Form erscheint. Stets beginnt die Künstlerin diese Werke mit der äußersten Linie, die ein unregelmäßiges Achteck in das Bildgeviert einschreibt. Von da an folgt der Pinsel in jeder neuen `Runde´ mit jeder neuen Farbe der einmal festgelegten Form und füllt so die Binnenform, wobei sich die Winkelung zwischen Ecken und Ebene verringert bis manche ganz verschwinden. Aber es ist nicht nur die Veränderung der Form im Vollzug ihrer Minimierung und die eigenartige Räumlichkeit, die diese Bilder auszeichnen, sondern auch hier ist es wieder das Malen selbst, das thematisiert wird, dieses Mal als selbst-auferlegte Disziplinierung und konkrete Erforschung der Linie als freistehendes Element.

Die Faszination, die die Bilder von Susanne Ackermann ausüben, ihr Oszillieren zwischen paradoxer Räumlichkeit und flächiger Konkretion resultiert aus der Beschränkung auf das einmal gewählt Verfahren, durch dessen konzentrierte Wiederholung in Variation Komplexität entsteht. Durch Malerei wird eine Transzendierung des Konkreten ins Räumliche möglich.

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