Susanne Ackermann

Everything Always Changes

Gespräch mit Berthold Naumann


B.N.  Auf den ersten Blick fällt bei deinen Arbeiten auf , dass du immer ganze Werkgruppen erarbeitest .


S.A.  Ja , ich male meist in Zyklen. In Ausstellungen kombiniere ich verschiedene Zyklen miteinander . Die Konzentration liegt schon auf der einzelnen Arbeit , aber ich denke eigentlich immer in Bezug auf Raum , d.h. ich stelle mir die Arbeiten in einer Raumsituation vor. Ich sehe sie als Raumgefüge oder Inbesitznahme von einem Raum . Dabei sehe ich die graduell unterschiedlichen Arbeiten als Gesamtheit , ich mische und kombiniere sie immer miteinander . Ich stelle sie mir in einem Raum vor , in dem sie zu sehen sein werden , das ist der Ausgangspunkt . In den Ausstellungen treten Arbeiten aus verschiedenen Zyklen in Korrespondenz , z.B. sehe ich gerne die großen Leinwände mit den großen Gesten in Verbindung mit den Zeichnungen mit den kleinen Strukturen. Es soll eine gute Verbindung innerhalb und unter den einzelnen Arbeiten und im Hinblick auf den Raum entstehen , in dem sie präsentiert werden .


B.N.  Die Vorstellung eines Ausstellungsraumes beeinflusst also die gewählten Formate. Wie gehst du dann weiter vor , wenn du ein Bild malst ?


S.A.  Es geht um Strukturen , die ich aufbaue , und im Grunde genommen geht es um eine Grundstruktur , auch in den Zeichnungen . Die Arbeiten gefallen mir am besten , am zufriedensten bin ich, wenn die Struktur ganz einfach ist , also fast banal und sich dann aber so aufeinander staffelt , dass es eine komplizierte interessante Räumlichkeit gibt .

Das ist die Idee . Es sind ja ganz einfache Formen , die durch das Übereinanderlegen und durch die Positionierung auf der Leinwand diese Spannung bekommen und auch den Raum . Für mich st es wichtig , dass sich aus der Zweidimensionalität der Leinwand plötzlich etwas anderes entwickelt . Dass man drauf sieht und sich so eine Verlangsamung ergibt , weil es schwer fällt , die Strukturen und den Raum innerhalb des Bildes zu begreifen . Gibt es eine Tiefe , eine Mehrschichtigkeit ? Vielleicht auch so etwas wie Hintergründigkeit . D.H. man muss den ersten Eindruck vielleicht revidieren , die Wahrnehmung in Frage stellen und sich mit Zeit und Ruhe einen ganz eigenen Raum entwickeln lassen . Je nach Arbeit sieht das anders aus . Eigenwillig , selbstständig , manchmal merkwürdig . Und dann gibt es innerhalb dieses Farbraumes unterschiedliche Tiefen , denn der Raum ist ja nicht homogen in sich . Für  mich ist es wichtig , dass die bildinternen Räumlichkeiten unterschiedlich sind. In einer Ausstellung sollten nicht zu viele Arbeiten aus einer Serie nebeneinander gezeigt werden , damit sie sich ganz unterschiedlich öffnen können , unterschiedlich darstellen .


B.N.  Du schaffst diese Räumlichkeit , von der du sprichst , durch das Malen in übereinander liegenden Schichten .


S.A.   Diese Schichtung ist ziemlich aufwändig . Es sind viele Schichte , die da übereinander und nebeneinander liegen . Die oberste Schicht muss richtig sitzen . Das ist wie bei Figuren vor einem Hintergrund : die Schwünge müssen gut darin stehen .

Und wenn du in dem Bild nach hinten siehst , dann muss es so gearbeitet sein , dass man nirgendwo das Gefühl hat , dass da ein Loch ist . Sondern man muss das Gefühl haben , da ist ein Raum . Das ist dann der Punkt , wo ich entscheide , letzt ist es fertig . Jetzt steht alles an seinem richtigen Platz .


B.N.   Du sagst , die oberste Schicht sei sehr wichtig damit das Ganze stimmig wird . Wenn sie nicht sitzt , malst du dann weiter ?


S.A.   Ja , dann male ich weiter . Wobei sich dann das ganze Bildgefüge verändert , denn mit der vordersten Farbschicht verändern sich auch die dahinterliegenden und damit auch der Raum .


B.N.   Bestimmt das Format auch die Breite des Pinsels ?


S.A.   Die Pinselbreite ist natürlich immer ein bisschen durch das Format bestimmt .

Und bestimmte Strukturen suchen sich ein bestimmtes Format . D.h. die verschiedenen Zyklen unterscheiden sich nicht nur in der Struktur , sondern auch in ihrer Ausdehnung . Manchmal dauert es einige Zeit um heraus zu finden , welches Format für welche Serie richtig ist .


B.N.   Du malst all over , d.h. man kann die Strukturen über die Bildgrenzen hinaus weiter denken .


S.A.   Ich habe lange Zeit immer nur Quadrate verwendet , weil ich genau das forcieren wollte . Ein Quadrat kann sich ganz gleichmäßig nach allen Seiten ausbreiten . D.h. das Denken , dass sich die Strukturen außerhalb der Leinwand weiter bewegen könnten war eine Intention dabei . Bei den neueren Arbeiten ist das vom Schwung her schwierig : der Loop passt einfach besser zum Rechteck .


B.N.   In meinem Studium hat damals ein Professor in einer Vorlesung über den Abstrakten Expressionismus die These aufgestellt , dass die Amerikaner wie Jackson Pollock das All Over bevorzugen und über den Rand hinaus dachten , während die Europäer wie Wols die Mitte im Blick hatten und ihr Bild zentrierten . Er hat das damals – etwas spekulativ – mit den riesigen Dimensionen der amerikanischen Landschaft in Verbindung gebracht , mit den gewaltigen Horizonten und Weiten .


S.A.   Klar , ich habe mich mit den Amerikanern lange beschäftigt , vor allem während des Studiums . Aber Schritt für Schritt entwickelt sich der Umgang mit der eigenen Arbeit weiter .

Ich versuche immer neue Schritte zu machen , neue Strukturen zu finden . Es geht um das Herausfinden – wie funktioniert etwas , wie baut es sich auf , wann entwickelt es ein Eigenleben . Die unterschiedlichen Varianten tauchen immer wieder auf . Es ist nicht so , dass eine Phase abgeschlossen und dann nie wieder aufgegriffen wird . Aber natürlich verändern sich die Bildern dann , weil Erfahrungswerte und Gefühle sich verändert haben .


B.N.   Wenn du eine neue Zeichenserie beginnst , die ganz anders aussieht , oder früher die Raster oder die Loopings , haben diese künstlerischen Phasen etwas mit Lebensabschnitten zu tun oder ist das ganz getrennt davon ?


S.A.   Das ergibt sich aus der Arbeit . Es ist ein ständiges Sichbeschäftigen und ein ständiges Weiterentwickeln . Das hat mit meinem Leben wenig oder nichts zu tun .

Aber es ist natürlich immer so , das von mir als Person und meiner Sichtweise auf die Welt etwas Grundsätzliches mitschwingt .


B.N.   Was ist auf den neuen Schwarz-Weiß Zeichnungen zu sehen ?


S.A.   Ein Phantasiegebilde . Aber auch hier geht es wieder um Struktur . Die Zeichnungen lösen Assoziationen aus , die z.B. ins Florale gehen oder an Unterwassergewächse erinnern . Es entwickelt sich zum erstem Mal eine Außenform , die bei den kleinen Zeichnungen prägnanter ist , während man bei den großen , 1.00 x 1,10 cm Zeichnungen eher dieses Vor- und Zurück im Innen wahr nimmt . Ich mag , wie sie sich so zusammen knurpseln und damit eine ganz eigene Räumlichkeit entwickeln . Also wieder dasselbe Prinzip wie bei den anderen Arbeiten – es ist eine zunächst einfache Struktur  und je mehr ich davon zusammenfüge oder drehe oder übereinander lege , desto komplizierter scheint sie zu sein .

Ich habe immer viele Buntstiftzeichnungen gemacht . In den neuen Zeichnungen ist nun die Farbe verschwunden und es gibt nur noch diese Grafittöne . Diese Strukturen brauchen das einfach . Und sie ergänzen sich sehr gut mit den großformatigen farbigen Leinwänden .


B.N.   Aber die farbigen Zeichnungen machst du nach wie vor ?


S.A.   Ja , die gibt es immer auch . Denn das sind zwar unterschiedliche Statements , aber sie gehören für mich alle zusammen und ergeben damit ein Gesamtbild . Wenn ich eine Ausstellung plane , dann mache ich meist direkt etwas für den jeweiligen Raum . Oft entsteht gerade dadurch Neues , weil die Beziehungen im Raum neue oder andere Sichtweisen und Zusammenhänge einfordern .


B.N.  Wie geht es dir damit , dass du in deiner Malerei eine starke Beschränkung auf eine bestimmte Vorgehensweise hast ? Du brauchst eine starke Haltung , dich mit Ähnlichem

Über Jahre immer wieder zu beschäftigen und dran zu bleiben an diesem Vorgehen .


S.A.  Manchmal habe ich Ausbrecher . Die Entwicklung in der Arbeit entsteht sowieso immer durch Ausbrecher , Dinge , die ganz anders sind . Oft ist das zuerst in der Zeichnung entwickelt . Ich könnte mir ganz gut vorstellen , z.B. plötzlich Porträts zu zeichnen oder zu malen . Das habe ich früher häufig gemacht . Auf meine systematische Arbeit komme ich aber immer wieder zurück . Manchmal denke ich , ich könnte jetzt mal etwas ganz anderes machen , und teilweise mache ich das auch . Aber ich komme immmer wieder hier an , das ist das , was mich wirklich interessiert , wo für mich die Wichtigkeiten und die Wahrheiten liegen . Damit bin ich einfach auch so sehr beschäftigt , das gar kein Platz bleibt für etwas Anderes .


B.N.   Was sind das für Ausbrecher ?


S.A.  Da sehen die ersten Versuche oft sehr merkwürdig aus und manchmal sogar recht gegenständlich. Die Entwicklung ist langsam, alles nimmt erst langsam Gestalt an und zeigt, wie prägnant es sein kann. Es gibt meist eine Idee und dann viele Versuche, eine adäquate Struktur zu finden. Mich interessiert Vielschichtigkeit, die  beständige Veränderung  in Allem, der Fluss der Dinge.


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